Der Mensch wird im sogenannten Prakruthi-Zustand geboren, bei dem das Niveau der drei Lebenenergien, der Doshas, im ausgeglichenen Zustand ist. Geraten diese ins Ungleichgewicht, wird der Mensch anfällig für Krankheiten. Ayurveda soll dem entgegenwirken und den ursprünglichen Zustand wiederherstellen.
Gläubige Hindus betrachten ihre Religion als eine alles umfassende Lebensweise. Ihre ältesten heiligen Schriften sind die Veden, deren Kern die Texte der Shruti bilden, von Weisen "gehörte" Texte, also Offenbarungen.
Der Begriff Ayurveda setzt sich zusammen aus den Wörtern ayur (Leben) und veda (Lehre), bedeutet also soviel wie "Lehre vom Leben", "Lebensweisheit" oder auch "Wissenschaft vom richtigen Leben". Das Wort stammt aus dem Sanskrit, einer um 1200 v. Chr. entstandenen Sprache, die heute nur noch von wenigen Menschen gesprochen wird. Es ist die Sprache der Veden, die vor allem im Hinduismus eine wesentliche Rolle spielt.
Es gilt als wahrscheinlich, dass Ayurveda das älteste medizinische System der Welt ist. Das genaue Alter ist unbekannt, man schätzt es auf mindestens 5000 Jahre. Die ältesten bekannten Aufzeichnungen sind etwa 3000 Jahre alt. Als Begründer des Ayurveda wird in einigen Schriften die mythische Figur Dhanvantari angesehen.
Bereits im 6. Jh. v. Chr. beschrieben die indischen Ärzte die menschliche Anatomie sehr genau, ebenso verfügte man über ein gutes Verständnis der menschlichen Verdauung und des Blutkreislaufs. Auf Ceylon gab es im fünften vorchristlichen Jahrhundert die ersten Spitäler. Der buddhistische König Ashoka ließ im 3. Jh. v. Chr. Spitäler für Menschen und für Tiere errichten. Hierfür wurden Heilpflanzen angebaut und auch importiert.
Die Wissenschaft des Ayurveda nutzt viele unterschiedliche gesundheitsfördernde Maßnahmen und Therapieverfahren, um vollkommene Gesundheit und ein langes Leben zu erreichen. Sie vereint sowohl Erkenntnisse empirischer Medizin auf der einen als auch philosophische Weltanschauung auf der anderen Seite. Ziel ist es, mittels richtiger Ernährung und Lebensweise, Atem- und Körperübungen, individueller Öl-Massagen und Musik das Gleichgewicht der Energien von Körper, Geist und Seele wiederherzustellen.
Zur ayurvedischen Heilkunde gehört auch eine spezielle Ernährungslehre, bei der die unterschiedlichen Konstitutionstypen (Doshas; siehe nächste Seite) eine wichtige Rolle spielen. Es gibt daher für jeden Konstitutionstyp andere Ernährungsempfehlungen. Allgemeine Empfehlungen, die für alle gelten, sind: Nur bei Hungergefühl essen, wobei alle fünf Geschmacksrichtungen (sauer, bitter, süß, scharf, salzig) enthalten sein sollen.
Weiter wird empfohlen, die Hauptmahlzeit mittags einzunehmen, nie bei unruhiger Gemütsverfassung zu essen, nach Möglichkeit frische Lebensmittel zu sich zu nehmen und aufzuhören, wenn's am schönsten ist, d.h. sich nicht völlig satt zu essen. Zwischenmahlzeiten sind nicht vorgesehen. Als Getränke empfiehlt die ayurvedische Ernährungslehre Wasser und Kräutertee.
Ayurveda ist eine Kombination aus empirischer Naturlehre und Philosophie, die sich auf die physischen, mentalen, emotionalen und spirituellen Aspekte konzentriert, die wichtig für die Gesundheit sind. Kommt es zu einer Störung der optimalen Verhältnisse, kann Krankheit die Folge sein.
Ayurveda vertritt einen ganzheitlichen Anspruch, d.h. der ganze Mensch wird mit einbezogen. In der Typologie spricht man von drei unterschiedlichen Temperamenten oder Lebensenergien, den sogenannten Doshas: Vata, Pitta und Kapha.
Vata entand aus Äther (Raum), Pitta aus Feuer und Kapha aus Wasser und Erde. Die Doshas beschreiben neben den Wirkungsprinzipien die drei Konstitutionstypen: Vatatyp, Pittatyp und Kaphatyp. Die Doshas sind den fünf Elementen bzw. Prinzipien zugeordnet: Raum, Luft, Feuer, Wasser und Erde - die von der Traditionellen Chinesischen Medizin postulierten Grundbausteine aller Lebensformen. Der Begriff "Elemente" darf jedoch in diesem Zusammenhang nicht missverstanden werden; er ist nicht gleichbedeutend mit den chemischen Elementen im naturwissenschaftlichen Verständnis.
Der Vatatyp wird charakterisiert als geistig reger, oft aber auch ungeduldiger Mensch, stets an Neuem interessiert, was sich nachteilig auf das Durchhaltevermögen auswirken kann. Es heißt, er sei von fröhlichem Naturell. Vata ist zuständig für Nerven, Herz und Kreislauf. Der Vata-Mensch ist hypersensibel, und schon beim geringsten Anlaß reagiert er mit Schlafstörungen und Ängstlichkeit. Die kalten Jahreszeiten empfindet der Vatatyp als sehr belastend.
Menschen mit dominierendem Pitta gelten als mit sich selbst und dem Leben zufriedene, allerdings auch zur Ungeduld neigende Zeitgenossen. Anders als der Vatatyp empfinden sie Hitze als unangenehm. Sie neigen zu Allergien und Verdauungsbeschwerden. Es heißt, dass sie Ärger in sich hineinfressen.
Der Kaphatyp ist ein in sich selbst ruhender Mensch, häufig von stämmiger Statur. Kaphas gelten als sehr zuverlässig, schätzen das Beständige und glänzen durch ihre enorme Hilfsbereitschaft. Bei einer Störung des Kapha-Haushaltes kann sich die latent vorhandene Neigung zum Übergewicht manifestieren und zu gesundheitlichen Beschwerden führen. Von allen Jahreszeiten ist das Frühjahr mit seinen zahlreichen Veränderungen dem Kapha am wenigsten geheuer.
Das Ziel der ayurvedischen Heilkunst ist die Vermeidung ernsthafter Erkrankungen, indem man ungesunde Angewohnheiten abstellt und versucht, den Auslöser der Erkrankung zu verstehen. Dazu gibt es eine Reihe von Behandlungen, die vor allem dem Körper dabei helfen sollen, sich selbst zu helfen. Zur Anwendung kommen beispielsweise unterschiedliche Ölmassagen sowie das Panchakarma, ein aus insgesamt fünf Teilen bestehendes Programm zur inneren Reinigung.
Frei übersetzt steht Panchakarma für die fünffache Handlung, was bedeutet, dass der Körper auf fünf verschiedene Arten behandelt und so gereinigt werden kann. Es bezeichnet einen Teil der Reinigungskur des Ayurveda unter Anwendung verschiedenster Methoden zur Ausschwemmung von Stoffwechselabbauprodukten, unverdaulichen Nahrungsbestandteilen (mala) und Umweltgiften (ama). Die Anwendungen umfassen kontrolliertes Erbrechen, Abführen sowie die Einnahme von Ölen und Ghee (geklärte Butter). Eine "geistige Entschlackung" (Aufarbeitung belastender Erfahrungen und unverarbeiteter Konflikte) sollte ebenfalls Bestandteil der Kur sein.
Beim ayurvedischen Stirnölguss, auch Stirnguss, Kopfguss oder Shirodhara genannt, fließt in einem kontinuierlichen Strahl aus circa 10 cm Höhe erwärmtes, medizinisches Öl (Thaila, von Tila, dt. Sesamsamen, zumeist auf Sesamöl-Basis hergestellt) auf den Kopf und hier ganz besonders auf die Stirn des Patienten.
Dies beruhigt das gesamte vegetative Nervensystem, harmonisiert und gleicht aus. Anwendung findet er, zumeist in Verbindung mit einer Gesichts- und Kopfmassage, vor allem bei neurovegetativen Störungen und Stressfolgen.
Besonders empfohlene Thaila für Stirnölgüsse heißen Kshirabala Thaila (nach einer 2000 Jahre alten Rezeptur) und Bhringamalakkadi Thaila (nach einer 400 Jahre alten Rezeptur). Ein Stirnölguss wird bevorzugt bei chronischen Kopfschmerzen, Gesichtslähmung, halbseitiger Lähmung, Schlaflosigkeit und Depressionen angewendet, wohingegen bei niedrigem Blutdruck, schwachem Kreislauf und während der Menstruation davon abgesehen werden muss. Weil diese Anwendung blutdrucksenkend wirkt, sollte in jedem Fall unmittelbar zuvor eine kräftige, kreislauffördernde Abhyanga (die traditionelle ayurvedische Ganzkörper-Massage) durchgeführt werden.
Die Butter wird vorsichtig erhitzt und für etwa 30 Minuten flüssig gehalten. Dabei setzt sich das geronnene Eiweiß im Schaum und am Boden ab, das Wasser verdunstet. Durch Abschöpfen des Schaumes, anschließendes Abgießen und Filtern wird die Butter geklärt. Die Einnahme der Butter kann u.a. Bestandteil einer Panchakarma-Kur sein. Erwärmt wird diese in kleiner Menge morgens nüchtern getrunken, um die fettlöslichen Schlacken im Körper zu lösen.
Diese innerliche Mobilisierung der Schlacken wird äußerlich durch verschiedene Ölbehandlungen wie beispielsweise Massage (Abhyanga usw.) oder Stirnölguss ergänzt. Im Westen wird meist eine entsprechende abgeschwächte Variante des Panchakarma durchgeführt, beispielsweise ohne Erbrechen. Panchakarma hat sich bei chronischen Krankheiten wie Rheuma, Asthma, Allergien, Bluthochdruck oder Kopfschmerzen bewährt. Auch in der Nachbehandlung von z.B. Operationen kann die Kur dem Organismus helfen, sich rascher zu erholen und sein natürliches Gleichgewicht wiederzufinden.
In den meisten Ländern ist der Begriff Ayurveda nicht geschützt, sodass jeder ohne besondere Auflagen entsprechende Anwendungen anbieten darf. In Deutschland stehen einige Gesundheitsämter allerdings der Verwendung der Begriffe Therapeut und Therapie relativ kritisch gegenüber. Auch wenn nachweislich ayurvedisch geschulte Fachkräfte ihn als öffentliche Werbung nutzen oder in irgendeiner Form auch nur den vagen Eindruck erwecken, Krankheiten heilen zu können, kommt es leicht zu Abmahnverfahren.
In Indien müssen Ayurveda-Ärzte sechs Jahre lang studiert haben, um danach ein Staatsexamen in ayurvedischer Heilkunst abzulegen. Es ist ein eigener, vollständiger Studiengang, der an vielen indischen Universitäten gelehrt wird. Nach drei weiteren Jahren Praxis erlangt man die Berechtigung, den Titel Doctor of Ayurveda zu führen. Mehrere tausend Mediziner erhalten in Indien alljährlich ihre Anerkennung zum Doktor der Ayurveda.
Auch in Deutschland gibt es inzwischen einige Ayurveda-Institute, die eine fundierte Ayurveda-Ausbildung nach indischen Standards bewerben, was letztendlich aber nur schwer oder gar nicht nachprüfbar ist. Außerdem besteht die Gefahr eines Authentizitätsverlusts, da das vermittelte Wissen meist auf westliche Lebensbedingungen übertragen wird.